Comic-Kritik – „Kuns by Return“ von Cráter Invertido

(c) Cráter Invertido

Gesichter in der Tiefe

Eine geheimnisvolle Aura umgibt Kuns by Return, ein Comic in Schwarz-Weiß mit fast keiner geschriebenen Sprache und einem Titel, der sowohl über den Inhalt als auch über Autor/en rätseln lässt. Die ersten Seiten zeigen eine maskierte und verhüllte Gestalt, die in einer kargen Landschaft Löcher gräbt und dabei Knochen und uralte Statuen zu Tage fördert, die an die Bildsprachen der Maya und anderer präkolumbianische Zivilisationen erinnern. Schließlich tauchen Gesichter aus Fleisch und Blut aus der Tiefe auf und blicken den Betrachter aufmerksam an. Sind dies Gesichter aus der Vergangenheit oder aus der Gegenwart? Der Comic gibt keine einfache Antwort, sondern schickt Leser:innen und seinen maskierten Protagonisten auf einen Roadtrip von der Wüste in eine belebte Metropole.

(c) Cráter Invertido

Kuns by Return hat eine organische, traumähnliche Qualität, mit starken Linien, die an Buntstift und Kohle erinnern und den Bildern des Comics Textur verleihen. In der Geschichte gibt es mehrere Figuren, deren Handlungen und Absichten nicht immer klar sind. Doch hinter dem Mysterium schimmert etwas Tiefgründigeres durch, wie eine Landschaft unter undurchsichtigem Wasser . Es ist eine Geschichte über Verwandlung, über Entfremdung und die Möglichkeit der Empathie, erzählt mit einer rohen Energie, die den Leser durch die Wendungen und Verwicklungen des Buches trägt.

Kuns by Return wurde von den drei Künstlern Waysatta, DiegoTeo und Jazael aus dem mexikanischen Kollektiv Cráter Invertido gezeichnet. Es wurde im Rahmen der Kunstausstellung documenta fifteen veröffentlicht und ist eine faszinierende Lektüre und ein weiterer Grund, sich näher mit mexikanischen Comics zu beschäftigen.

Kuns by Return
Cráter Invertido (MX)
2022
Eigenverlag, verfügbar im Hopscotch Reading Room Berlin

Diesen Sommer hatte ich das Vergnügen, die Mitglieder von Cráter Invertido im Rahmen der Lumbung der Verleger während der Kunstausstellung documenta fünfzehn in Kassel persönlich zu treffen. Unter diesem Link ist ein Interview mit den Künstler:innen zu finden.

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Comic-Kritik – Spring Nr. 18 „Freiheit“

(c) Spring

Kürzlich stolperte ich über ein Zitat der Philosophin Hannah Arendt: „People can be free only in relation to one another“. Dieser Satz bringt meine Sicht auf die letzten zwei Jahre auf den Punkt, die Zeit der Pandemie mit all ihren Strapazen und Einschränkungen aber auch der verschärften Folgen des Klimawandels in Europa. Meiner Meinung nach verlangt unsere Gegenwart nach einem radikalen Neudenken von persönlicher Freiheit. Welch passendes Thema also für die neueste Ausgabe der feministischen Comicanthologie Spring, die Ende letzten Jahres erschien.

Mit vielseitigen Beiträgen beleuchten die Künstlerinnen der Anthologie Facetten von Freiheit und folgen dabei ganz unterschiedlichen künstlerischen Pfaden. Mal wird das Thema so abstrakt aufgegriffen wie im Comic The Wall von Doris Freigofas, dessen überraschende Wendung mich verblüfft innehalten ließ. Andere Geschichten wie Eh Nichts Passiert von Stephanie Wunderlich werden so konkret wie die Erinnerungen an einen Sommer, nach dem nichts war, wie zuvor. Klassische Panellayouts sucht man in Spring vergebens – stattdessen nutzen die Künstlerinnen seitenfüllende Bilder und verwischen dabei die Grenzen von Comic und Illustration. Die Anthologie Spring, die 2004 in Hamburg gegründet wurde, zeichnet sich durch eine hohe Experimentierfreudigkeit und eine ansprechende visuelle Kohärenz aus. Klare Leseempfehlung!

Spring Nr. 18 – „Freiheit“
Comicanthologie (GER)
2021

Marisch Verlag (erscheint jährlich)

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Comic-Kritik: „Fürchtetal“ von Markus und Christine Färber

Triggerwarnung: dieser Text enthält Erwähnungen von Suizid.

Es gibt wenig Themen, die mich so drastisch an die Grenzen von Sprache stoßen, wie die Trauer. Wie begegne ich einer Person, die ein Familienmitglied, eine Freundin oder einen Angehörigen verloren hat? Trauer wird in unserer Gesellschaft oft verhüllt mit Plattitüden, mit Postkartensprüchen, die vor allem Ausdruck einer gewissen Sprachlosigkeit sind.

Die Geschwister Markus und Christine Färber suchen in ihrem neuen Comic Fürchtetal Worte und Bilder für ihre persönliche Trauer. Im Zentrum der Handlung steht der Tod des gemeinsamen Vaters, der sich 2019 überraschend das Leben nahm. Über einen künstlerischen Dialog begeben sich Bruder und Schwester zurück in die Landschaften ihrer Kindheit, in einen Wald in der Nähe der fränkischen Kleinstadt, in der sie aufwuchsen. Wie ein sich windender Pfad führen die Worte von Christine Färber durch das Buch und bilden eine Kette aus einzelnen Momenten, Gedanken und Erinnerungen. Dem gegenüber stehen die Zeichnungen von Markus Färber, der mit breitem Pinselstrich und dichten Grautönen melancholische und manchmal fantastische Bilder für das Erlebte findet.

© Rotopol

Fürchtetal hat aufgrund seiner Erzählweise etwas Schweifendes und Suchendes. Fast assoziativ widmen sich viele Passagen den Kindheitserinnerungen des Künstlerduos, kehren dann jedoch wieder und wieder zu bestimmten Erlebnissen zurück. Einer dieser Erzählstränge ist das letzte Treffen der Geschwister mit ihrem Vater, als dieser aufgrund seiner psychischen Verfassung stationär in einer Klinik behandelt wurde. Markus Färbers Zeichnungen nutzen in solchen Passagen gezielt das Mittel der Abstraktion: der Vater wird zum Beispiel nur durch eine schematische Darstellung seines Kopfes gezeigt, der unförmig auf dem Bett oder im Raum liegt. Dieses Stilmittel mag zunächst rätselhaft scheinen, eröffnet dem Comic jedoch im weiteren Verlauf vielfältige Bedeutungsebenen. Den Mittelpunkt von Fürchtetal bilden ohne Zweifel die Gefühle der Geschwister, die beide auf ihre Weise mit dem persönlichen Verlust zu kämpfen haben. Allein für diese vielfältigen Darstellungen der Trauer, für die die Mittel des Comics auf kreative Weise genutzt werden, lohnt sich die Lektüre des Buches.

© Rotopol

Fürchtetal
Markus & Christine Färber (GER)
2021
Rotopol

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Comic-Kritik: „Blutspuren“ von Rutu Modan

© Rutu Modan

Das Jahr 2021 neigt sich langsam dem Ende entgegen und damit auch eine Zeit voller spannender Comics. Zu meinen Highlights unter den vielen anregenden Neuentdeckungen zählen ohne Zweifel die Bücher der israelischen Comiczeichnerin Rutu Modan. Die vielfach ausgezeichnete Künstlerin war schon länger auf meinem Radar, doch brauchte es die nachdrückliche Empfehlung mehrerer Bekannter, bis ich mich ans Lesen machte. Los ging es ihrem neusten Werk Tunnel, einer Graphic Novel, die gekonnt Elemente einer Abenteuergeschichte im Stil von Tintin mit humorvollen Seitenhieben auf das politische Zeitgeschehen Israels verbindet. Das Figurenensemble rund um die Hauptfigur und Archäologin Nili ist ungemein lebhaft und die Handlung voller überraschender Wendungen.

© Rutu Modan

So sehr mir Tunnel auch zugesagt hat, noch mehr berührt hat mich das Vorgängerwerk von Modan namens Blutspuren, das kürzlich auf Deutsch als Softcover erschienen ist. Blutspuren kommt etwas ‚leiser‘ daher als Tunnel, doch ist es nicht minder bewegend. Im Zentrum des Comics steht Kobi Franko, ein Taxifahrer in Tel-Aviv, der eines Tages von einer jungen Soldatin kontaktiert wird. Diese ist überzeugt, sein Vater sei bei dem kürzlichen Bombenanschlag auf den Busbahnhof einer israelischen Kleinstadt ums Leben gekommen. In der Tat hat Kobi schon länger nichts mehr von seinem Vater gehört – die beiden hatten nach einem Streit den Kontakt zueinander verloren. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass es sich bei der noch unidentifizierten Leiche vom Ort des Anschlags um die seines Vaters handelt? Und in welcher Beziehung steht die junge Frau zu ihm? Rutu Modan entspinnt auf Grundlage dieser Fragen ein feinfühliges Beziehungs- und Familiendrama, das wie nebenbei verschiedene soziale Schichten eines Landes streift, in denen Gewalt durch Krieg und Terror wie konstante Hintergrundgeräusche zu vernehmen sind.

© Rutu Modan

Wie in Tunnel, so erweist sich Rutu Modan auch in Blutspuren als meisterhafte Cartoonistin mit feinem Gespür für Tempo und Dynamik der Handlung. Die im schönsten Sinne reduzierten Zeichnungen, die an den Ligne Claire Stil des berühmten belgischen Zeichners Hergé erinnern, transportieren auf eindrucksvolle Weise Gestik und Mimik der Figuren, was ihnen ein hohes Maß an Persönlichkeit verleiht. Hinzu kommt der atmosphärische Einsatz von Farben sowie einer Vielzahl subtil-poetischer Bildkompositionen. Blutspuren ist eine bewegende Tragikomödie über den Verlust geliebter Menschen, über den Umgang mit inneren und äußeren Verletzungen – eine Vieldeutigkeit, der der englische Titel Exit Wounds vielleicht mehr Raum gibt als der deutsche. Wer wissen will, wie es für Verwundete aller Art um die Möglichkeit der Heilung steht, wird von Blutspuren bis zuletzt in Atem gehalten – aber nicht ohne Hoffnungsschimmer.

Blutspuren
Rutu Modan (IL)
2021

Carlsen


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Comic-Kritik: „Die Farbe der Dinge“ von Martin Panchaud

© Martin Panchaud

Familienthriller aus der Vogelperspektive

Es gibt Bücher, die einen vor den Kopf stoßen, die einen dazu herausfordern, die Welt auf eine neue und ungewohnte Weise zu sehen. Die Farbe der Dinge zählt eindeutig zu dieser Kategorie. Getreu dem berühmten Satz „The medium is the message“ lenkt der Schweizer Comiczeichner Martin Panchaud unsere Blicke in ungewohnte Bahnen und spielt mit unserer Wahrnehmung. Die gesamte Handlung seines preisgekrönten Comics Die Farbe der Dinge ist aus der Vogelperspektive erzählt, die Figuren wie Icons in Google Maps zu symbolischen Kreisen in einer schematischen Umwelt reduziert.

© Martin Panchaud

Was zunächst wie eine künstlerische Spielerei wirken mag, entpuppt sich im Laufe des mehr als 200-Seiten langen Buches als Vehikel einer packenden und emotional mitreißenden Handlung. Simon, Teenager und Sohn zweier unglücklicher Eltern in einem Haus am Londoner Stadtrand bekommt in einer schicksalshaften Begegnung von einer örtlichen Wahrsagerin den Ausgang des nächsten Pferderennens verraten. In der Hoffnung, seiner Einsamkeit und seinen Mitschülern zu entkommen, die ihn aufgrund seines Übergewichts hänseln, stiehlt Simon die Geldkassette seines Vaters und setzt einen millionenschweren Einsatz. Was folgt, ist ein packendes Familiendrama und ein Roadmovie mit vielen dramatischen Wendungen.

© Martin Panchaud

Ähnlich einer Drohne oder eines staatlichen Überwachungsapparats verfolgen wir als Leser die Handlung aus der Vogelperspektive. Fast klinisch legt Die Farbe der Dinge damit die Kausalitäten frei, in die Simon und seine Mitmenschen verstrickt sind. Die emotionale Kühle, die damit einhergeht, dass alle Charaktere zu farbigen Kreisen reduziert sind, ist erst einmal gewöhnungsbedürftig. Sie passt jedoch zum Tempo und Ton der Handlung und ihrer voneinander entfremdeter Figuren. Panchaud fördert mit dem Schicksal seines Protagonisten gekonnt die ökonomischen Gräben der Britischen Gesellschaft zu Tage und schafft es damit, glaubhaft soziale Kritik in das Familiendrama einzuweben. Die Farbe der Dinge spielt auf ausgeklügelte Weise mit den Möglichkeiten des Comic und ist Leser:innen mit starken Nerven wärmstens empfohlen.

Die Farbe der Dinge
Martin Panchaud
2020
Edition Moderne (CHE)

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Comic-Kritik: „In Waves“ von AJ Dungo

© AJ Dungo

Ein Ort für gebrochene Herzen

Vorneweg eine Entwarnung: man muss nichts vom Surfen verstehen, um von der Graphic Novel In Waves mitgerissen zu werden. Das Buchdebüt des kalifornischen Zeichners AJ Dungo vermittelt auch so mit fließenden Linien ein Gefühl für das Meer, für seine Wellen und Unwägbarkeiten. In Waves handelt von der Beziehung des Zeichners mit seiner an Krebs verstorbenen Jugendliebe Kristen, einer Liebe, die eng mit der Leidenschaft für das Wellenreiten verbunden war. In berührenden Rückblenden erzählt die Graphic Novel von der gemeinsamen Zeit, von Kristens Krankheit aber auch von ihrem unbändigen Lebenshunger.

© AJ Dungo

Dungo montiert in seinem Buch zwei parallele Handlungsstränge: der in melancholischen Blautönen erzählten Liebesgeschichte stellt er eine in Sepiatönen gehaltene kurze Chronik des Surfens gegenüber und umreißt die Geschichte zweier Pioniere des Sports. Diese zweiteilige Struktur bremst leider bisweilen den Lesefluss und nicht immer sind die Verbindungen zwischen den verschiedenen Kapiteln ersichtlich.

© AJ Dungo

Am meisten überzeugt In Waves mit seinen Darstellungen des Surfens selbst. Der Illustrator Dungo findet eine eindrucksvolle Bildsprache für diese Szenen, einen eleganten Minimalismus, der an die graphische Reduktion der Comics von Adrian Tomine und die präzisen Linien des Zeichners Charles Burns erinnert. In Waves spielt dabei mit den Möglichkeiten des Comics, ohne die Bilder mit überflüssigen Wörtern zu überfrachten. Das Meer, diese sich stets verändernde Landschaft, die für Surfer zugleich Verheißung und Bedrohung verkörpert, wird so zu einem Spiegel der Emotionen der Figuren. Und zu einem Ort für gebrochene Herzen.

In Waves
AJ Dungo
2019
Nobrow (UK/US)

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Comic-Kritik – „Unfollow“ von Lukas Jüliger

© Reprodukt

Bei manchen Comics fällt es mir schwer eine Rezension zu schreiben, ohne dass sich bestimmte Erinnerungen in meinem Kopf zu Wort melden. So auch im Fall von Unfollow, der neuen Graphic Novel des deutschen Comiczeichners Lukas Jüliger. Der Sommer 2019, der sich eigentlich schon unendlich weit weg anfühlte, war beim Lesen auf einmal wieder ganz nah. Damals ging die Nachricht von riesigen Waldbränden im Amazonas um die Welt und löste eine globale Protestwelle aus. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, in meiner Heimatstadt in der demonstrierenden Menschenmenge zu stehen. Einerseits war ich wütend auf die Ereignisse auf der anderen Seite des Ozeans, andererseits beeindruckt davon, welche Macht Bilder und Nachrichten haben, um in relativ kurzer Zeit einen solchen Protest zu mobilisieren.

Um Ökologie und Medien, darum geht es, grob gesagt, auch in der Graphic Novel Unfollow. Dreh- und Angelpunkt der Handlung ist ein mysteriöser Junge namens Earthboi, der eines Tages wie auf dem Nichts auftaucht und über Nacht zum Internet-Star wird. Aus seinem Versteck in einem Nationalpark postet er täglich Content über das Überleben in der Natur, den Anbau von essbaren Pflanzen, Survivaltipps und Ökologie. Nach und nach wird Earthboi zu dem Symbol des Protests gegen die Umweltzerstörung durch den Menschen, gegen die globale Erderwärmung und das Artensterben. Darin ähnelt er der realen Person Greta Thunberg, deren Proteste 2018 die Fridays For Future Bewegung ins Rollen brachte. Doch während die reale Greta als Kind aufgrund ihrer Wahrnehmung der Welt unter schweren Depressionen litt, erscheint Earthboi nahezu makellos und übermenschlich. Der Junge weiß alles über die Geschichte des Planeten Erde, züchtet im Handumdrehen hitzeresistente Korallenriffe und hat bei alldem auch noch ein feines Gespür für sein Publikum und das Potenzial sozialer Medien. Kurzum: Earthboi erscheint wie eine prophetische Gestalt, eine menschengewordene oder (je nach religiöser Anschauung) wiedergeborene Verkörperung der Harmonie von Mensch und Natur.

© Reprodukt

Spätestens hier kommen beim Lesen Zweifel an der Zuverlässigkeit der Erzähler auf. Richtig, Unfollow wird nicht aus der Perspektive von Eathboi erzählt, sondern seinen Aposteln, ich meine, seinen ersten Followern. Lukas Jüliger entwickelt in dem mehr als 150 seitigem Comic eine Geschichte mit einem düsteren Unterton, deren Ende zwar etwas abrupt kommt, aber dennoch zum Nachdenken anregt. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Unfollow keine Dialoge hat, sondern nur von den ‚stummen‘ Bildern und der Erzählung getragen wird.

© Reprodukt

Die Graphic Novel verbindet auf interessante Weise zwei hochaktuelle Themen, zum einen den wachsenden Widerstand gegen die sich abzeichnende ökologische und klimatische Krise, zum anderen die Eigendynamik der Kommunikation im digitalen Zeitalter und die Wirkmacht von Influencern. Was Unfollow endgültig lesenswert macht, sind die Bilder, die in weichen, aber zielsicheren Bleistiftlinien und atmosphärischen Pastelltönen der Geschichte die Bühne bereiten.  Insgesamt eine lesenswerte Graphic Novel in Zeiten von Extinction Rebellion und Fridays for Future.

Unfollow
Lukas Jüliger
Reprodukt
2020

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Comic-Kritik: „War and Peas“ von Jonathan Kunz und Elizabeth Pich

Zugegeben, allzu viele Gründe zum Lachen gab es nicht in den letzten Wochen. Für alle, die frisch aus der Mondkapsel oder Zeitmaschine gestiegen sind: die per Virus übertragbare Lungenkrankheit Covid-19 hat sich zur Pandemie ausgeweitet, tausende Menschenleben gefordert und in Europa und anderswo das öffentliche Leben weitgehend stillgelegt. Solltet ihr euch derzeit im Lockdown befinden und euch nach etwas Abwechslung vom Nachrichten-Karussell sehnen, dann habe ich hier einen Buchtipp: War and Peas von Jonathan Kunz und Elizabeth Pich.

War and Peas, das ist eigentlich ein englischsprachiges Webcomic, das seit 2011 wöchentlich im Netz und auf Instagram erscheint. Hinter dem äußerst erfolgreichen Humor-Strip, der über die Jahre zehntausende LeserInnen für sich gewinnen konnte, steckt ein Deutsches Autorenduo und jede Menge schwarzer Humor. Die kurzen Gag-comics umfassen meist nicht mehr als vier Panels und steuern zielsicher auf die nächste Pointe zu. Der Humor bewegt sich dabei zwischen absurd und morbide, ganz im Sinne des Titels, eine Parodie von Krieg und Frieden, dem Romanklassiker von Tolstoi. In War and Peas sinnieren Büroangestellte über den Selbstmord, werden im letzten Moment doch durch das Versprechen einer Pizza von ihrem Vorhaben abgebracht. Zugleicht lässt die umtriebige „Slutty Witch“ einen Liebhaber zugunsten ihres vibrierenden Besens sitzen. Visuell ist der Comic minimalistisch gehalten, verzichtet zum Beispiel ganz auf die Mimik der Figuren, was den kurzen dialogfokussierten Strips aber keinesfalls schadet.

© Kunz und Pich

War and Peas erinnert auf den ersten Blick stark an den deutschen Comic Nichtlustig von Joscha Sauer, hebt sich jedoch mit ganz eigenem Biss und einer Prise Zeitgeist von diesem ab. Erfrischend ist hierbei besonders das humorvolle Verarbeiten gesellschaftlicher Themen wie Feminismus und Queerness. Das Buch, das im April dieses Jahres beim amerikanischen Verlag Andrews McMeel erscheint, eignet sich als Einstieg in das Webcomic. Es versammelt auf 150 Seiten verschiedenste Strips, die sowohl einzeln als auch in chronologischer Reihenfolge lesen lassen und so eine fortlaufende Geschichte ergeben. Alles in allem vorzüglich kurzweilige Unterhaltung, die mit ihrem morbiden Charme eine willkommene Ablenkung vom Tagesgeschehen darstellt.

War and Peas: Funny Comics for Dirty Lovers
Jonathan Kunz und Elizabeth Pich
2020
Andrews McMeel

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Comic Review – „Off Season“ by James Sturm

© Drawn & Quarterly

It took a while, but fall has finally reached my German hometown. As the days get shorter, I turn to some of the more somber books on my reading list, beginning with Off Season by US cartoonist James Sturm. Published in the beginning of this year by Drawn and Quarterly, the comic caught my attention early on because of its appealing art style and its references to the 2016 US presidential election. I’m glad I finally read it and can safely say that Off Season is among my favorite books of 2019.

But let’s start from the beginning: Off Season is an episodic comic that tells the story of a family caught in the turmoil of a disintegrated marriage. The events are set in New England during the snowy winter of 2016 and narrated by Mark, a freshly separated husband and father of two kids. From the very beginning, we get the sense that he is struggling, not only with the end of his marriage, but also with financial issues and personal mental health. While their emotional wounds are still sore, both Mark and his estranged wife make efforts to reach some form of agreement in order to take care of their children. Apart from their private struggles, the family is also shaken by the ongoing 2016 US presidential elections and the growing political divide of the country. Mark and Lisa were both avid supporters of Bernie Sanders, one of the Democratic candidates in the primary election, but later disagree on Hillary Clinton as the Democratic Party’s final candidate.

© Drawn & Quarterly

What is immediately striking about Sturm’s comic are its drawings and its layout. Off Season’s plot is utterly realistic but its characters are anthropomorphic animals drawn with clear lines and a grey wash reminiscent of watercolor. This gives the images an appealing depth and contributes to the generally melancholic atmosphere of the story, especially during the winter scenes in the later episodes. In addition to its drawings, Off Season also features an unusual format and layout: the book has a rectangular shape and each page consists of two panels of the same size. As the artist explained in an interview, he originally drew the single panels on index cards. While the simple two-panel comic-strip layout sounds like it would impede any form of advanced storytelling, it works surprisingly well in practice. Sturm accomplishes the feat of making each episode feel significant on its own while still advancing the overall narrative. This is also due to the superb writing: Off Season packs an emotional punch, but it never feels overburdened by its themes.

Sturm deftly intertwines the personal and the political in his work while also addressing the growing economic rifts within the United States. Reading Off Season made me feel the intense strain of its principal character who works in construction and is trying to get by, despite being taken advantage of by his employer and supplying for his kids. Ultimately, Off Season invites to be read as a story about the modern struggles of masculinity, fatherhood and the genuine difficulties of family life after separation. It is a great comic and one I will surely return to in the wintry days ahead.

Off Season
James Sturm
2019
Drawn & Quarterly

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Comic Review – „My Friend Dahmer“ by Derf Backderf

© Abrams

Chasing Shadows

In the realm of pop culture, the stories of celebrities tend to develop a life of their own. Rock stars, famous rappers and activists are all shrouded in a mystical halo, making everything they ever did either point to their inevitable success or failure. The same applies to famous criminals. It would be naïve to assume that our perception of convicted murderers and rapists remains unchanged as soon as they are dipped into Hollywood limelight, wrapped into layers of representation, the faces of actors superimposed upon their own. One interesting question to ask is why people who commit such atrocities even spark fascination in the first place. Why even dive into that rabbit hole of human abyss?

The answer of Derf Backderf, the U.S. cartoonist behind the 2012 graphic memoir My Friend Dahmer would probably be relatively simple: He knew the guy. Backderf went to the same high school as Jeffrey Dahmer, the teenager who would later in his life murder, rape and mutilate 17 males before being killed by a fellow inmate in prison in 1994. Backderf’s comic looks back to a time before these horrible crimes were committed, to his own high school days in 1970’s Ohio in order to get closer to Dahmer as a person. As stated in the comic’s foreword, the intent of the work is not to excuse the actions of his school friend but to contextualize them, to show that the transformation of the shy and severely troubled teenager into a mass murderer was not set in stone and could perhaps have been avoided.

This attempt to humanize a person whose later actions were unspeakably violent and deranged, to add a perspective to the story that suspends judgement and strives for understanding, is constantly under threat within the comic. This is a memoir, not a psychological report, and despite a visible aim for clarity, Backderf’s graphic memories of Dahmer and his high school days are always steeped in emotion and presented by a very prominent narrator. One might even say that there are two conflicting perspectives within the comic: there is one in which Backderf recounts his own personal memories of Dahmer as a teenager, who traces their parallel trajectories from adolescence to adult life, recounts their shared time in hallways, during lunch breaks and car rides. And then there is another in which the narrator attempts to ‘fill in the blanks’ with the help of criminal records and interviews to understand the struggles of Dahmer and the events to which Backderf was oblivious at the time.

© Abrams

The way that these levels blend into each other may be one of the comic’s greatest strengths. Backderf draws parallels between his life and Dahmer’s and thereby asks meaningful questions concerning the forces that shape us in our upbringing and the extent of our own personal freedom. By describing to the peculiarities of 1970’s rural Ohio he points to the paradox of a tight-knit neighborhood that is simultaneously inert when it comes to helping people who are obviously in desperate need, whether this be Dahmer himself or his severely ill mother. In the comic, Dahmer is presented as a vulnerable and isolated figure, neglected by his self-absorbed parents, and isolated from his peers first by his growing mental instability. However, he is also an enigma, a person retreated to far into himself that his personality is hardly more than a small shadow in the corner of a room. The only time Dahmer drew any attention in school was in his role as ‘class clown’ who briefly amused high fellow students (including Backderf) with his antics.

The inscrutability of Dahmer is mostly conveyed by the drawings which present the face of the troubled teenager as a cold mask, almost devoid of any emotion except for the grotesque grimaces during his pranks. In general, Backderf’s drawings are cartoony in the best way, the detailed and clear fineliner art reminding me of the work of Joe Sacco. The comic presents characters, objects and landscapes in an angular and weird fashion that is both clunky and appealing despite its simplicity.

© Abrams

Like the drawings, the narrative structure of My Friend Dahmer also shows Backderf’s skill as a cartoonist. The story has a distinct arc as it zooms in and out of Dahmer’s and Backderf’s lives, sometimes comparing their upbringing in juxtaposing panels. At certain points, however, the comic seems too absorbed by its own meaningfulness. Comparing Dahmer to Jack the Ripper in one unfortunate panel, or making references to the “hellish future” that awaits him are unbecomingly sensationalist and divert attention from the events as they unfold. In keeping with the advice “show, don’t tell”, My Friend Dahmer is at its best when it is at its most personal. Many of Backderf’s drawn memories are certainly haunting and bear the regret of not having known enough.

© Abrams

While this is certainly a graphic memoir worth reading, the question remains whether My Friend Dahmer can contribute to the demystification of its subject or merely adds yet another layer of representation to his story. While the passages that recount Backderf’s first-hand memoires certainly feel genuine and thought provoking, it is only too telling that the cover of the book’s newest edition already points to the next medium, the 2017 film of the same title. The photographed boy on the cover of my comic’s edition may look like Dahmer, but beware, it is in fact actor Ross Lynch.

My Friend Dahmer
Derf Backderf
2012
Abrams ComicArts

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